Acht Tage vor dem Michaelistag des Jahres 1732 setzte ein gelinder Regen ein. Die Flüsse und Bäche überstiegen ihre Ufer nicht, so daß niemand mit einer drohenden Überschwemmung rechnete. Am 29. September stieg der Wasserstand infolge des anhaltende stärker werdenden Regens dann aber in Erbach bis zu den beiden steinernen Brükken an und überflutete innerhalb einer Stunde als heftiger Strom den Marktplatz und die anderen im Talgrund gelegenen Niederungen. Über die Stimmung der betroffenen Bevölkerung schreibt Heußon, in die heutige Schreibweise übertragen:

Von dem mit pechschwarzen Wolken überzogenen Himmel erfolgte zugleich ein so schreckliches, helles Blitzen, daß die Leute, die nicht so nahe am Fluß wohnten, nichts anderes vermuteten, als daß Gott jene durch das Wasser, sie hingegen mit Feuer vom Himmel auf einmal vertilgen werde. Der Regen fiel dabei mit solcher Gewalt, daß jedermann den gänzlichen Untergang wie in einer Süntflut fürchtete. Der Regen dauerte bis 10 Uhr abends. Zugleich hörte man das entsetzliche Krachen von Gebäuden, die die Fluten eingerissen hatten.

In Erbach wurden an dem Abend durch die Wasserflut fünf Häuser weggespült, die zwei steinernen Brücken und ein Steg zerstört. Über die Verwüstungen und das menschliche Leid, die die Unwetterkatastrophe im benachbarten Mümling-Grumbach anrichtete, schreibt Heußon in der Originalfassung:

Zu Membling=Crumbach, so in das Höchster Kirch=Spiel gehöret, hat es viel betrübtern Schaden verursachet, nicht nur an Gärten, deren viele sammt denen Bäumen weggerissen und ruiniret, sondern auch an Häusern, deren viele unterwühlet, eines sogleich umgerissen, das andere aber also zugerichtet worden, daß es des folgenden Tages im Angesicht vieler benachbarten aus Höchst, die es retten wollen, gesuncken. Hierbey blieb es nicht, sondern es kam auch an die Menschen, dann da Über die Mümbling gebaute lange und grosse hölzerne Brücke, sammt dem Fundament losgerissen und auf die nah dabey gestandene schöne Mahl- und Schneid=Mühl mit grosser Gewalt gestossen, wurde dieselbe dergestalt erschüttert, daß sie an allen Ecken entsetzlich krachete, und ob sie wohl noch stehen blieb, und die Brücke aufrecht stehend sich vor die Mühl gestellet hatte, so geschahe es doch, daß als der Müller sich mit den Seinigen aus der Stube des Wohn=Hauses, durch die Mühl auf die Schneid= Klötzer retiriren wolte und mit zweyen Kindern unter seinen Armen auf die Mühl=Treppe trat, daß die Treppe unter seinen Füssen wieche, mithin die gantze Mühl vom Hauß wegfuhr, und der Müller, Namens Balthasar Lien, sambt 2. Kindern ins Wasser fiel, und sogleich mit einer mitfallenden Wand bedeckst wurden. Den Müller hat man den 30. Sept. neben dem Wohn=Haus todt gefunden, das eine Kind von 6. Tahren ist wunderbarer Weiß vom Wasser durch die eingerissene Wand in das noch stehende Stück Haußes zu seiner vorigen Schlaf=Kammer auf die Bettlade getrieben worden, worauf es sich im Wasser biß an folgenden Morgen erhalten, ohne daß es ein Mensch gewust, und ist auch noch beym Leben; das andere Kind aber, 8. Jahr alt ist durchs Wasser fort bis gegen Höchst getrieben, und den 1. October gefunden worden. Indessen ist der Strom des Flusses, wo er sonsten gegangen, und wo die Mühl gestanden, mit Stein und Kummer also angefüllet, daß man fast darüber gehen kan, gegen über aber wo die Häußer weggespühlet worden, gehet jetzo der völlige Strohm.

Heußon deutet in dem furchtbaren Geschehen eine übernatürliche Ursache, ein Strafgericht Gottes mit der Mahnung zur wahren Buße. Des 29. September wurde seit dem 9. Jahrhundert als Tag des Schutzpatrons der Deutschen festlich gedacht. Nach der Wasserflut im Jahre 1732 erklärten die drei Erbacher Grafenhäuser den Michaelistag zu einem allgemeinen Bußbet- und Danktag. Daran hielten sie bis zum Anschluß der Grafschaft Erbach und Herrschaft Breuberg (1806) an das Großherzogtum Hessen-Darmstadt offiziell fest. Gemäß einer Anordnung des Kirchen- und Schulrats zu Darmstadt vom 03.11.1808 wurde die Feier des Michaelistages in der seitherigen Form verboten. Die Odenwälder Bevölkerung hielt jedoch nach wie vor an dem Feiertag fest. Erst seit 1937 wird der Gedenktag im Odenwald nicht mehr als solcher aktenkundig, wahrscheinlich auf Einwirken der NSParteistellen, die der Meinung waren, daß es in den jetzigen Zeiten besser sei, zu arbeiten als zu beten. (10)

(Quelle: Heimatbuch Etzen-Gesäß)